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Omas sind die liebsten Menschen!

Von Brigitte Richter, Thierbach

Die Überschrift stimmt! Als ich noch ein Kind war, war dieser Satz für mich wie ein fest geschriebenes Gesetz. Und meine Oma, mit der ich in einem Haus wohnte, war sowieso der allerliebste Mensch. Doch auch die andere Oma, ein paar Dörfer weiter, war mir sehr lieb und wert.
Aber in dieser Geschichte geht es um meine Oma Hulda, die inzwischen schon mehr als 30 Jahre tot ist. Nun bin ich selbst Oma, für mittlerweile 5 Enkelkinder. Meine Oma Hulda war etwas ganz Besonderes. Sie konnte Geschichten erzählen, die manchmal nicht ganz der Wahrheit entsprachen, aber uns Kinder absolut fesselten. Mucksmäuschenstill hörten wir ihr zu, wenn sie von früher erzählte, aus ihrer Kinderzeit.
Zusammen mit sieben oder acht weiteren Geschwistern wuchs sie in einem Bauernhaus auf. Sie war das älteste Mädchen und bekam demzufolge auch die typischen Mädchenarbeiten von ihren Eltern aufgebürdet. Schon frühzeitig musste sie die Kühe melken, sich um den Haushalt kümmern und ihre jüngeren Geschwister versorgen, weil die Eltern auf dem Feld zu tun hatten.
Oft erzählte sie davon, wie sie ihre Zwillingsbrüder, die gerade mal sitzen konnten, mit einem kleinen Handwagen aufs weit entfernte Feld zerren musste, damit sie von der Mutter gestillt werden konnten. Sie selbst war nicht gerade kräftig gebaut, musste aber arbeiten wie eine Erwachsene.

Oma Hulda saß mit uns auf dem alten Sofa in ihrer Küche und lächelte vor sich hin.
"Es war eine schwere Zeit, aber auch eine schöne Zeit", sagte sie sehr oft. "Wir hatten damals auch viel Blödsinn im Kopf. Nicht immer haben wir das gemacht, was unsere Eltern von uns verlangten. Einmal, da stellte ich die Zwillinge einfach am Feldweg ab und habe an einem Bach im Wasser geplanscht. Dabei hab ich wohl die Zeit vergessen. Erst als die Knirpse ganz fürchterlich brüllten und einer aus dem Handwagen heraus gefallen war, besann ich mich auf meine Pflichten. Die Mutter war sehr ungehalten, als ich zu spät zur "Fütterung" der Quälgeister aufs Feld kam und sie klatschte mir eine ins Gesicht."

Wenn Oma dann aufhörte zu reden, drängten wir Kinder, dass sie uns noch mehr von früher erzählen soll. Darauf hatte sie auch nur gewartet, denn Oma Hulda hatte noch viele Erlebnisse in ihrem Kopf, mit denen sie ihren lieben Enkelkindern die Zeit vertreiben konnte. Fernseher gab es zu dieser Zeit kaum; wir hatten jedenfalls noch keinen im Haus.

Wir Kinder legten unsere kleinen Finger in ihre faltigen, von der schweren Arbeit schwieligen Hände und sahen ihr in das liebe, runzlige Gesicht. Als ob sie sich völlig in die Zeit von damals zurück versetzt, redete sie weiter.
"Einmal, im Januar, hatte es so viel geschneit, das wir in unserem kleinen Dorf völlig von der Außenwelt abgeschnitten waren. Sogar die Fenster in der unteren Etage des Bauernhauses waren durch den starken Schneefall in der Nacht wie zugemauert. Wir hatten kein Salz mehr im Haus und mussten uns einen Gang durch die Schneemassen graben, um beim Nachbar etwas zu borgen."
War das nun geflunkert oder Wahrheit? Oma hatte nämlich auch sehr viel Fantasie.

Aber am spannendsten war es, wenn sie über mystische Begebenheiten sprach. Über Topfdeckel, die am Herd lehnten, und plötzlich, ohne Grund umfielen. Das hatte nichts Gutes zu bedeuten. Noch interessanter wurde es, wenn die alte Nachbarin, die Schwägerin meiner Oma, hinzu kam. Dann gab es Geheimnisvolles im Doppelpack zu erfahren. Heute wissen wir, dass sehr viel Aberglaube in den Köpfen der alten Leute steckte, und trotzdem erinnere ich mich daran und stelle mit Erschrecken fest, dass auch ich manchmal ein wenig abergläubisch bin.

Am liebsten hörten wir von Oma Hulda die Geschichte, wie der elektrische Strom ins Haus kam.
"Da kam eines Tages der Elektrische", so nannte sie den Elektriker, der die Kabel verlegte und somit das elektrische Licht in die dörflichen Haushalte brachte. "Der Elektrische stand vor dem Lichtschalter; meine Eltern und wir Kinder mussten uns alle an den Händen anfassen und eine Kette bilden. Alle waren voller Spannung, was wohl gleich passieren wird. Mein ältester Bruder war das Schlusslicht, im wahrsten Sinne des Wortes. Hinter ihm stand nur noch unser alter Schäferhund. Der Elektrische fasste an den Schalter und plötzlich schrie mein ältester Bruder Otto auf, riss die Hand von seinem Vorgänger los und trat dem Hund auf die Pfote. Der war so erschrocken, dass er den Otto ins Bein zwackte."
Daher kommt wohl der Ausspruch: "Den Letzten beißen die Hunde!" Oma konnte sich nie erklären, warum ausgerechnet der Letzte in der Kette einen Stromschlag abbekommen hatte. Sie konnte mit diesem neumodischen Kram auch nichts anfangen und hat die physikalischen Gesetze eher als Teufelszeug angesehen.

Je mehr ich in den Erinnerungen an meine Oma krame, umso mehr fällt mir ein, was sie uns Kindern aus einer Zeit vermittelt hat, von der heute viele Menschen überhaupt nichts mehr wissen.
Seit ich selbst eine Oma bin, genieße ich es, wenn meine Enkelkinder sagen: "Omi, erzähl doch mal was von früher." Das tue ich natürlich sehr gerne. Ich nutze die Fantasie meiner Enkel aus, um immer neue Geschichten zu erfinden, und ich hoffe, dass vielleicht noch ein paar Enkel nach kommen, oder dass ich in einigen Jahren noch gefragt werde: "Uroma, erzähl doch mal was von früher!"