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:: Wackelkontakt ::
Wackelkontakt
Brigitte Richter
Sehr neblig war damals die Nacht im Spätherbst, die grusligste, die ich je erlebt habe. Ich hatte plötzlich Angst, so richtige Angst. Woher dieses Gefühl kam, sollte ich bald heraus bekommen. Der Nebel war mittlerweile so dick dass man das Nachbarhaus kaum noch sehen konnte. Ich lag im Bett und konnte nicht einschlafen. Gegen 23:30 Uhr schaute ich aus dem Schlafzimmerfenster, in der Hoffnung, dass sich der Nebel verzogen hat, als ich mit Erstaunen sah, dass ganz oben, in der alten Scheune meines Bauernhauses, das elektrische Licht brannte.
Na so was! Hatte mein Enkel das Licht angeschaltet, als er am Nachmittag da war? Der hat wohl vergessen, es wieder aus zu machen, dachte ich unbekümmert..
Ihr kennt das sicherlich auch, in alten Scheunen zu stöbern…
Der Junge fand in der alten Bauernscheune immer interessantes Gerümpel, aber besonders hatte es ihm die kleine Katze angetan, mit der er gerne im Heu spielte.
Ich zog die Pantoffeln an und stieg im Nachthemd, ohne mir etwas über zu ziehen, mit der Taschenlampe in der Hand, hoch in die Scheune, um das Licht auszuschalten.
Die Kälte kroch mir den Rücken hinauf. Es war richtig schaurig. Als das Licht aus war, ging ich durchgefroren wieder ins Bett und konnte ewig nicht einschlafen.
Gegen 3:00 Uhr, wie von Geisterhand geweckt, sah ich abermals aus dem Fenster und stellte erschrocken fest, dass das Licht wieder an war.
Na ja, vielleicht ein Wackelkontakt, dachte ich. Doch das kann in einer alten Holzscheune ja auch gefährlich werden, wegen der Barndgefahr.
Da der Strom immer teurer wird, und ich nachsehen wollte, was da los ist, ging ich abermals im Finstern in die Scheune. Wohl war mir nicht dabei. Sollte sich da jemand unrechtmäßig zu schaffen machen? Zu klauen gibt es aber in dieser alten Holzscheune weiß Gott nix mehr, dachte ich so für mich. Mein siebter Sinn wurde auf einmal aktiviert. Vorsicht!, sagte mir mein Gefühl.
Was hättet ihr gemacht, in meiner Situation? Soll ich euch erzählen, wie es weiter geht?
Vorausschauend nahm ich ein Stück Eisenrohr in die Hand, das im Regal im unteren Bereich Scheune lag. Ich wollte das Licht am Eingang anschalten, aber es funktionierte nicht. Plötzlich spürte ich einen Windhauch, ich machte schnell die Taschenlampe aus und stand im Stockdunkeln da. Meine Hände zitterten, meine Handflächen wurden feucht und das eiserne Rohr wurde plötzlich bleischwer in meiner Hand. Gänsehaus überzog meinen Körper. Zu allem Grauen quietschte auch noch die kleine Eingangstür zur Scheune und fiel knarrend ins Schloss. Mein Gott, was mache ich jetzt? Ist da irgendwo ein Einbrecher in dem alten Gebäude. Wird er mir gleich eins überziehen? Wer findet mich, wenn ich verletzt am Boden liege? Wüste Gedanken kreisten in meinem Kopf. Grausame Krimis kamen mir in den Sinn, die ich schon öfter gesehen habe und ich spürte schon fast, wie mir ein Messer in den Rücken gerammt wird.
Zu allem Schrecken fand den Ausgang nicht, so finster war es. Vorsichtig tastend versuchte ich in Richtung Scheunentürchen vorwärts zu kommen. Dabei stieß ich einen Blecheimer um, der scheppernd auf den Dielen entlang rollte.
Da sah ich plötzlich, durch die morschen Bretter, das Licht in der oberen Scheune an- und ausgehen. Ich verhielt mich ganz still; kauerte mich in eine Ecke und harrte der Dinge, die da kommen werden.
Eine dicke Spinne krabbelte über meine Haut, aber ich wagte mich nicht zu rühren, solche schrecklichen Gedanken hatte ich auf einmal.
Doch auch die Gestalten auf dem Dachboden hielten inne, und waren mit einem Mal ganz leise, bis ich nach ein paar Minuten hörte: "Mach endlich weiter, das wird wohl eine Katze gewesen sein."
Wieder huschten Lichtscheine von mehreren Taschenlampen über mir entlang, die ich durch die Ritzen in den Dielen sehen konnte. Mich selbst konnte zum Glück niemand erspähen, da ich in der staubigen, mit Spinnennetzen bedeckten Ecke kauerte.
Spürt ihr auch schon die Gänsehaut auf euern Armen, die Spinnenfäden im Gesicht?
Die Scheune hatte noch einen Ausgang, der aber seit Jahren nicht mehr benutzt wurde. Leise Stimmen, die ich nicht verstehen konnte, umschwirrten mich. Dann vernahm ich ein geschäftiges, fast lautloses Treiben. Etwa 2 bis drei Menschen, so kam es mir vor, machten sich auf dem oberen Scheunenboden zu schaffen. Es lag dort noch ziemlich viel Stroh herum, welches in der Vergangenheit niemand mehr brauchte. Tiere gab es ja keine mehr, wo man es als Einstreu hätte verwenden können. Dieses Stroh hörte ich leise rascheln. Es rieselte durch die Spalten in den Dielen auf meinen Kopf. Ich mußte mich total beherrschen, um nicht zu niesen. So nach und nach kroch die eisige Kälte immer mehr in mich hinein, aber die Spannung wuchs. Ich wollte wissen, was da oben vor sich geht.
Tausend Gedanken schwirrten mir im Kopf herum. Warum machen sich ausgerechnet in meiner Scheune, mitten in der Nacht, fremde Leute zu schaffen? Wer kann das wohl sein? Ich grübelte, was da oben geschieht, hatte einen vagen Verdacht, wollte aber nicht daran glauben, dass ER etwas damit zu tun haben kann.
Die Worte: "Leise, und Licht aus!" hörte ich hin und wieder ganz deutlich, und glaubte, die Stimme schon mal gehört zu haben. Nach etwa einer halben Stunde war der Spuk vorbei. Das Knarren der alten Scheunentür sagte mir, dass die ungebetenen, nächtlichen Besucher nun weg sind. Durchgefroren ging ich wieder in mein Bett. An Schlaf war überhaupt nicht mehr zu denken, viel zu aufgewühlt wartete ich die Morgendämmerung ab, um nachzusehen, was da in der Nacht auf meinem Grundstück vor sich ging.
Mit einem flauen Gefühl im Bauch stieg ich auf den Scheunenboden, dort, wo jahrelang niemand von meiner Familie einen Fuß hingesetzt hatte. Unter dem Stroh lugte etwas Schwarzes hervor. Ein Stück von einem Rohr vielleicht…? Ich zog daran und hatte plötzlich eine Pistole in der Hand. Als ich das Stroh weiter beiseite räumte, kamen immer mehr Waffen zum Vorschein. Mein Herz schlug wie wild. Hoffentlich hat das niemand bemerkt, dass ich hinter das Geheimnis der nächtlichen, unerwünschten Besucher gekommen war. Mir war augenblicklich klar, was zu tun sei. Ich stieg schnellstmöglich die Leiter wieder hinab, ging in meine Wohnung und rief die Polizei an.
Vor lauter Aufregung fiel mir beinahe die Notrufnummer nicht ein. Mit zitternden Händen wählte ich die 110.
Nach 10 Minuten waren sie schon da. Nicht mit Blaulicht und Martinshorn, sondern mit einem ganz normalen Auto kamen zwei Beamte in meinen Hof gefahren.
Sie zeigten mir ihre Polizeiausweise, kamen in Arbeitskleidung, so dass auch neugierige Nachbarn denken mussten, dass es Handwerker seien.
Die Männer kletterten die Leiter hoch, bis zum Giebel des Gebäudes, durchsuchten den Strohhaufen und der Ältere meinte:
"Diesen Waffenhändlern sind wir schon lange auf der Spur."
Mir wurden genaue Anweisungen gegeben, wie ich mich zu verhalten habe.
Und dann kam die große Polizeiaktion. Mindestens zehn Uniformierte, in schusssicheren Westen, versteckten sich in meiner Scheune und auf dem Nachbargrundstück. Ein bisschen Mitleid hatte ich mit einem kleinen, dünnen Polizisten, der wie bei "Alibaba und die 40 Räuber" in einem dicken Getreidefass kauern musste. Einer verschanzte sich hinter einem Bretterstapel und einer unter dem Heuhaufen, der als Winterfutter für Karnickel liegen geblieben war. Wo die Anderen ihr Versteck fanden, konnte ich nicht sehen. Alle Polizisten waren wie vom Erdboden verschluckt. Ich selbst sollte mich in der Wohnung aufhalten und mich bloß nicht sehen lassen. Es wurde dunkler und dunkler. Und dann sah ich es wieder, vom Fenster meiner Wohnung aus, das Licht oben in der Scheune, es ging an - aus, an - aus!
Wahrscheinlich war es das Signal für die anderen Verbrecher, dass die Luft rein ist.
Meine Mutter, die auch unterrichtet war, stand an ihrem Fenster und rief zu meiner Wohnung hoch: "Haste das gesehen, das Licht in der Scheune ist mal an und mal aus!"
Ich antwortete ihr darauf, ziemlich laut: "Ja, ja, das hat nix zu bedeuten, ist nur ein Wackelkontakt! Morgen hole ich den Elektriker!"
Die Einbrecher mussten es hören, damit sie sich in Sicherheit wiegen konnten.
Meine Mission war also erfüllt.
Ich wusste nicht, dass auch hinter der Scheune; wo das Auto der Waffenhändler stand, Kriminalbeamte ihre Position eingenommen hatten. Und als die Gewehre, Pistolen und Handgranaten im Transporter der Verbrecher verstaut waren, und diese wegfahren wollten, ging es los! Scheinwerfer leuchteten auf, und die Stimme eines Polizisten sagte übers Megaphon: "Sie sind umstellt! Lassen Sie die Waffen fallen! Kommen Sie mit erhobenen Händen heraus!"
Das ganze Umfeld meines Grundstückes war plötzlich hell erleuchtet. Inzwischen kamen die Nachbarn, die vom hellen Licht und dem Lärm geweckt wurden, immer zahlreicher zum Gucken in die Nähe, wurden aber von der Polizei zurück geschickt.
In wenigen Minuten waren die Verbrecher dingfest gemacht und bekamen ihren stählernen Armschmuck in Form von stabilen Handschellen verpasst. Als die 3 Ganoven in dem vergitterten Transporter der Polizei verstaut waren, durfte ich sie mir durch ein kleines Fenster ansehen. Ich glaubte, mir bleibt das Herz stehen! Nun wusste ich, zu wem die Stimme gehört, die ich nachts vernommen hatte. Ich sah das hämische Grinsen meines ehemaligen Mieters, der mal ein halbes Jahr in meiner Ferienwohnung gewohnt hatte. Und nun ging mir endlich ein Licht auf, warum er sich damals so oft in der alten Scheune aufhielt, um angeblich ein altes Motorrad zu reparieren.
In der Scheune brennt nun nachts kein Licht mehr, aber vor jeder Tür hängt neuerdings ein dickes Vorhängeschloss!
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